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Die geometrische Lösung des Zweihöhenproblems
Carl Friedrich Gauß und die analytische Auflösung
Thomas H. Sumner der Erfinder der linearen Standlinie
Marcq Saint Hilaire bringt es zu Ende
Die Geschichte der Astronavigation ist lang und hat zahlreiche Lösungen hervorgebracht. Wissenschaftlich begann sie im 16. Jahrhundert. Ein erster Akteur war der Portugiese Pedro Nunes. Er brachte die Höhe der Sonne zu zwei verschiedenen Tageszeiten in Zusammenhang mit dem Standort eines Schiffes und begründete damit das Zweihöhenproblem. Dieses wurde zur Grundlage sämtlicher in den folgenden Jahrhunderten entwickelten Methoden und Verfahren zur Standortbestimmung auf See.
Doch vorerst konnte niemand einen Weg finden, wie diese Idee für die Seefahrt nutzbar gemacht werden könnte.
So setzte der spanische König im Jahr 1600 einen Preis für denjenigen aus, der eine praktisch anwendbare Lösung anbieten konnte, blieb damit aber erfolglos. Auch das Preisausschreiben der Pariser Akademie der Wissenschaften im Mai 1727 brachte keine praktikablen Lösungen herbei, obwohl sich sogar Wissenschaftler wie Daniel Bernoulli, der als Begründer der Strömungslehre bekannt ist, daran beteiligten.
Interessant wurde es, als der berühmte Mathematiker Leonhard Euler die Gleichungen der sphärischen Trigonometrie, genauso wie wir sie heute kennen, in einem Werk zusammenstellte und auch die davon abgeleiteten Gleichungen für deren logarithmische Berechnung angab. Euler selbst bot außerdem eine Methode zur Berechnung der geografischen Breite auf der Grundlage zweier Höhen der Sonne an.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verdichteten sich konkrete Lösungsansätze durch Beiträge verschiedener Autoren auf ein Modell, das aus zwei Polardreiecken XPZ und X’PZ und einem zentralen Dreieck XZX’ bestand, wie das in dem nebenstehenden Bild zu sehen ist.
Eine endgültige Beschreibung dieses Modells, das bis heute allen später bekannt gewordenen Navigationsmethoden zugrunde liegt, wurde im Jahr 1792 als Ergebnis einer in Gotha stattgefundenen Zusammenarbeit des Niederländers Pieter Nieuwland mit Franz Xaver von Zach, einem späteren Freund von Carl Friedrich Gauß bekannt. Sogar der zu beschreitende mathematische Lösungsweg war angegeben worden. Die Standortlänge muss bei dieser geometrischen Lösung allerdings separat als Chronometerlänge berechnet werden.
Gauß selbst transformierte dieses geometrische Dreiecksmodell 15 Jahre später in ein mathematisches Gleichungssystem, das die Unbekannten und
enthielt, woraus am Ende ganz einfach Breite und Länge eines Standortes hervorgehen. Obwohl das Gleichungssystem nur transzendenten Funktionen enthielt und damit allgemein als unlösbar galt, fand Gauß eine analytische Lösung. Diese bestand aus sechs hintereinander zu lösenden Gleichungen, die darüber hinaus auch gleich die Länge und damit eine vollständige Lösung des Zweihöhenproblems lieferten.
Mit diesen beiden Varianten schien das Zweihöhenproblem eigentlich gelöst, doch die Ergebnisse waren ernüchternd. Positionsberechnungen mit den vorliegenden Formelapparaten sowohl für das Dreiecksmodell, als auch für die Gauß Methode waren nur mit Logarithmentafeln möglich. Das hätte an Bord der immer schneller fahrenden Schiffen zu viel Zeit in Anspruch genommen und wurde deshalb von den Seeleuten nicht akzeptiert. So konnte insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur mit der Methode Mittagsbreite bzw. Nordsternbreite, gefolgt von Koppelnavigation und Chronometerlänge oder unter Anwendung der Douwes Methode navigiert werden.
Die industrielle Revolution von 1760 bis 1840 führte zu einem Aufstieg von Seemacht und Seehandel, wie es ihn bisher noch nicht gegeben hatte. Segelschiffe wurden schneller, mussten am Ende aber doch den neuen Dampfschiffen weichen. Der angewachsene Schiffsverkehr auf den Weltmeeren litt sehr darunter, dass die Möglichkeiten einer sicheren Hochseenavigation noch immer recht bescheiden waren. Dampfschiffe verbrauchten Brennstoff, der Geld kostet und wenn weniger Kohle gebunkert werden muss, dann kann mehr Nutzlast transportiert werden. Die gefahrenen Kurse wurden optimiert und sollten dann aber auch eingehalten werden, was wiederum nur möglich war, wenn die Kapitäne entsprechende Navigationsmöglichkeiten an die Hand bekämen.
Der Druck, endlich bessere Navigationsverfahren zu entwickeln, war groß. Was die Wissenschaft geliefert hatte, war zwar exakt, aber zu aufwendig. Die Lösung kam schließlich aus der Praxis. Es war der amerikanische Handelskapitän Thomas H. Sumner der im Dezember 1837 die grafische Navigationsmethode erfand. Vier Jahrzehnte später gelang dem französischen Fregattenkapitän Marcq Saint Hilaire eine entscheidende Verbesserung dieser Methode, die heute in Deutschland als Höhendifferenzverfahren bekannt ist.
Grafische Methoden sind Näherungsnethoden, bei denen Höhenkreise, auch Kreise gleicher Höhe oder Höhengleichen genannt, im Standortbereich durch Geraden ersetzt werden. Das funktioniert bei sehr großen Durchmessern der Höhenkreise gut. Der Standortbereich muss vorher jedoch geschätzt werden.
Das nebenstehende Bild zeigt dafür ein Beispiel. Der weit entfernte Bildpunkt der Sonne als natürlicher Bezugspunkt wird durch eine geschätzte Position SO ersetzt. Der naheliegende Schätzort schafft einen kleinen Maßstab. Die Konstruktionen der Standlinien finden mit Bleistift und Lineal direkt auf der Seekarte, oder wie hier gezeigt, auf einer sog. Leerkarte statt. Eine Ortsveränderung zwischen den Beobachtungen, hier als blauer Versegelungsvektor dargestellt, wird durch Parallelverschiebung der Standlinie SL1 aus der ersten Beobachtung auf die Spitze des Versegelungsvektors behandelt. Die Kreuzung der versegelten grünen Standlinie SL1s mit der roten Standlinie SL2 aus der zweiten Beobachtung ist der Schiffsort.
Die Verbreitung der grafischen Methoden, dazu zählen auch die Tafelmethoden, gilt als Wendepunkt in der Hochseenavigation und als Beginn der Ära der sogenannten modernen Astronavigation, die erst mit der Einführung der Satellitennavigation ein Ende fand.
Seltsam ist allerdings, dass im 21. Jahrhundert immer wieder Computerprogramme oder Apps für Mobilgeräte entwickelt wurden, die das Verfahren von Saint Hilaire digitalisieren. Offensichtlich wissen die Entwickler dieser Programme nicht, dass dieses Verfahren nur ein Notbehelf aus dem 19. Jahrhundert ist, weil es damals keine Computer gab. Eine Digitalisierung des Hilaire Verfahrens wandelt nur die Arbeitsschritte eines Navigators aus früherer Zeit in Computercode um und so bleiben alle Restriktionen des Verfahrens bestehen. Wie der Beitrag Digitalisierung zeigt, benutzen alle Verfahren dasselbe Modell. Im Vergleich aller digitalisierten Verfahren schneidet das Hilaire Verfahren am schlechtesten ab.