Carl Friedrich Gauß und die analytische Auflösung

Johann Carl Friedrich Gauß war ein deutscher Mathematiker, Statistiker, Astronom, Geodät, Physiker und Elektrotechniker. Wegen seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen galt er bereits zu seinen Lebzeiten als „Princeps mathematicorum“. Gauß leitete in den Jahren 1821 – 1825 die Vermessung des Königreiches Hannover. Doch sein Interesse an der Landvermessung hatte er schon viel früher gezeigt.

Dabei benutzte er einen Sextanten, den er sich von seinem Freund Franz Xaver von Zach auslieh. Gauß war kein Seemann, doch eine Ortsbestimmung auf See unterscheidet sich nicht wirklich von einer Ortsbestimmung an Land. Schließlich muss auch ein Kartograf Längen- und Breitengrade auf seinen Landkarten einzeichnen können.

Die geometrische Lösung es Zweihöhenproblems galt für eine Berechnung mit Logarithmen als zu aufwendig und so suchte man nach bequemeren Möglichkeiten. In dem nebenstehenden Bild kann jedes der zwei Polardreiecke XPZ und X’PZ mit einer Gleichung beschrieben werden. Weil beide Dreiecke die gemeinsame Seite PZ besitzen und darüber hinaus auch die Polwinkel über die Zenitabstände s und s‘ definiert sind, kann das, was die Zeichnung darstellt, auch über ein Gleichungssystem ausgedrückt werden. Allerdings bestehen beide Gleichungen des Systems aus den transzendenten Kreisfunktionen Sinus und Kosinus und für transzendente Gleichungssysteme gibt es keine Lösungsalgorithmen.
Gauß kannte die geometrische Lösung sehr gut und wusste auch, dass ein Mathematiker namens Kraft, zuvor an der Analyse gescheitert war. Er fühlte sich vielleicht herausgefordert und schrieb:

„Dieses alles beruhet auf rein geometrischen, freilich ganz einfachen Betrachtungen: es wird aber ohne Zweifel manchem angenehm seyn, eine directe Auflösung dieses Problems auf blos analytischem Wege entwickelt zu sehen wodurch sich aufs Neue bestätigen wird, daß alle Wahrheiten, welche aus geometrischen Betrachtungen abgeleitet werden, ebenso zierlich mit Hülfe der Analyse entdeckt werden können, wenn diese nur auf die rechte Art behandelt wird.“

Gauß wollte eine Lösung finden, bei der die Höhen zu beliebigen Zeiten gemessen werden können und er wollte auch gleich die Zeit beberechnen, über die dann der Längengrad bestimmt wird. Die Auflösung des Problems bestand also im Finden der Unbekannten \varphi und \lambda des folgenden Gleichungssystems, welches das im vorstehenden Bild gezeigte geometrische Modell beschreibt:

\text{I: }\;\;\sin h=\sin \delta\sin \varphi+\cos \delta\cos \varphi\cos \lambda

\text{II:}\;\;\sin h'=\sin \delta'\sin \varphi+\cos \delta'\cos \varphi\cos (\theta-\lambda)

Gauß konnte dieses Gleichungssystem schließlich lösen. Das Ergebnis bestand am Ende aus den  Substitutionen F, V, W und G. Mit diesen Substitutionen konnten dann Breite und Länge des Standortes berechnet werden. Der Gauß Formelapparat ist gar nicht so kompliziert und besteht aus den folgenden sechs Gleichungen:

(1)   \begin{equation*}F = \arctan\frac{\tan\delta'}{\cos\theta}\end{equation*}

(2)   \begin{equation*}V=\arctan\frac{\cos F\cdot\tan \theta }{\sin (F-\delta)}+\text{korr}\end{equation*}

(3)   \begin{equation*}W=P\cdot\arccos\frac{\cos V\cdot\tan h}{\tan (F-\delta)}\cdot\bigg(\frac{\sin h'\cdot\sin F}{\sin h\cdot\sin \delta'\cdot\cos(F-\delta)}-1\bigg)\end{equation*}

(4)   \begin{equation*}G=\arctan\frac{\tan h}{\cos (V-W)}\end{equation*}

(5)   \begin{equation*}\lambda=\arctan\frac{\cos G\cdot\tan (V-W)}{\sin (G-\delta)}\end{equation*}

(6)   \begin{equation*}\varphi=\arctan\big (\cos \lambda\cdot\cot(G-\delta)\big)\end{equation*}

Keine einzige dieser Formeln ist mit geometrischen Elementen erklärbar und auch \lambda ist kein Stundenwinkel, sondern eine Standortlänge für den Sonderfall, dass die Seite PX der Nullmeridian ist. Das ist gewöhnlich nicht der Fall, doch dadurch berechnet sich die tatsächliche vollkreisige Länge immer nur aus der Summe

(7)   \begin{equation*}\lambda^{*}=\text{Grt}+\lambda\cdot\end{equation*}

Die sonst übliche Berechnung \lambda^\ast= Grt\pm\tau wäre hier falsch, weil Gauß in seiner Analyse das zuerst beobachtete Gestirn auf dem Nullmeridian sieht und \lambda} somit stets das richtige Vorzeichen annimmt. Befindet sich der Standort auf östlicher Länge und beide Beobachtungen sehen die Sonne westlich, dann  hat \lambda} natürlich ein negatives Vorzeichen und so wird die Summe von Grt und \vartheta} zur Differenz.

Mit P wird vorgegeben, ob ein Standort nördlich oder südlich von der Deklinationsbreite berechnet werden soll. Für einen nördlichen Standort ist P = 1 vorzugeben und für einen südlichen Standort P = -1. Die Vorgaben +1 oder -1 sind aber noch mit dem Vorzeichen der aktuellen Deklinationsbreite zu multiplizieren. Soll beispielsweise ein Standort nördlich der aktuellen Deklination berechnet werden, dann gilt zunächst P = 1 für Nord. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Deklination südlich ist, dann muss P = 1 mit -1 für südliche Deklination multipliziert werden und damit gilt P =  -1.

Nur unter der Bedingung, dass eine Zweitbeobachtung auf ein Folgedatum fällt, muss die Substitution V in bestimmten Fällen durch Addition von \pi korrigiert werden.  Diese Fälle liefert die folgende Logikgleichung:

    \[\pi\;\text{wenn }\delta<0\land\tan q\cdot\sin(F-\delta)>0\lor\delta>0\land\tan q\cdot\sin(F-\delta)<0\]